Ein Platz für die Satire

1960

Erst einmal, dann zweimal und schließlich dreimal läutet die Unterhausglocke jeden Abend den Beginn der Vorstellung auf den beiden Bühnen einer der renommiertesten Kleinkunstbühnen der Republik ein. 1971 hängte sie der legendäre Hanns-Dieter Hüsch ins Unterhaus-Foyer – als Relikt seiner „gekenterten“ Kabarettbühne „arche nova“. Ein Jahr später riefen die Unterhäusler Renate Fritz-Schillo, Artur Bergk und Carl-Friedrich „Ce-Eff“ Krüger den Deutschen Kleinkunstpreis ins Leben, für den die Glocke als Sinnbild steht und alljährlich an die Preisträger verschiedener Sparten verliehen wird.

Doch der Reihe nach, noch befinden wir uns ja noch gar nicht in den 1970ern! Die Geburtsstunde des Unterhauses ist für den 31. Januar 1966 terminiert, als die „Poli(t)zisten“ in der „Katakombe“, einer Jazzkneipe in der Mainzer Kaiserstraße ihr erstes Programm spielen: „Hier stehen wir, Spott helfe uns!“. Die Gründung des Unterhaus-Vorgängers geht auf Ce-Eff-Krüger zurück, der als junger Redaktionsassistent in der Abteilung Kabarett des damals ebenfalls noch jungen ZDF arbeitete und selbst Kabarett machen wollte. In der Mainzer Schauspielerin Renate Fritz-Schillo fand er eine begeisterte Anhängerin und Mitstreiter.

Zurück in die „Katakombe“, wo das Duo jeden Mittwoch vom Publikum gefeiert wird. Allerdings konsumieren die Gäste den Kneipenwirten zu wenig Getränke, weswegen die „Poli(t)zisten“ sich ein neues Revier suchen müssen. Fündig werden sie ausgerechnet bei der Konkurrenz: die „R(h)ein-Re(e)der“ heißt das ältere Mainzer Kabarett, das am Gutenbergplatz unterhalb des damaligen „Wienerwalds“ residiert. Das dort gespielte Programm heißt „50 Grad örtlicher Pleite“ – schließlich verläuft wenige Meter weiter besagter nördlicher Breitengrad. Und weil man hiermit nicht gerade erfolgreich ist, beschließen die Verantwortlichen beider Ensembles zu fusionieren. Der gemeinsame Name ist auch schnell gefunden: Unterhaus!

Leider ist der Titel des zweiten „Poli(t)zisten“-Programms genauso wörtlich zu nehmen wie der mit der Pleite: Es heißt „Platonische Hiebe“ – und die setzt es auch im zwischenmenschlichen Bereich. Konträre Diskussionen über Sinn und Zweck des Kabaretts entzweien das Triumvirat. Statt eigener Produktionen präsentiert man Gastspiele mit Hanns-Dieter Hüsch, Manolo Lohnes und Franz Josef Bogner. Doch der Bruch ist vollzogen: Renate Fritz-Schillo und Ce-Eff Krüger steigen aus. 1969 geben auch die anderen auf. Fritz-Schillos Ehemann Victor Fritz kauft seiner Frau das Unterhaus: für 1.500 Deutsche Mark auf Ratenzahlung.

1970

Am 3. September öffnet das neue Unterhaus als Non-Profit-Unternehmen seine Pforten. Mit dabei ist erneut ein „dritter Mann“: Artur Bergk. Die Stadt Mainz beteiligt sich mit der damals stolzen Summe von 1.000 Mark am Neustart, der gleich die großen der Szene auf die Bühne holt: „Insterburg & Co“ zeigt „Faust“, Hannes Wader gastiert ebenso wie Schobert & Black, Reinhard Mey und immer wieder Hanns-Dieter Hüsch. Auch eigene Theaterinszenierung sorgen für Furore.

Während die Mainzer in der Silvesternacht 1970/71 das neue Jahrzehnt begrüßen, setzt ein Rohrbuch das Unterhaus unter Wasser. Und das steht den Betreibern bald buchstäblich bis zum Hals: Die Presse berichtet, das Ordnungsamt entdeckt bei einer Kontrolle baupolizeiliche Mängel und verfügt – unter anderem wegen des Fehlens eines Notausgangs – die Schließung des doch eben erst eröffneten Unterhauses am Gutenbergplatz. Doch Fritz-Schillo, Bergk und Krüger geben nicht auf, inspizieren Kohlen-, Luftschutz-, Wein-, Party- und andere Keller, bis sie von einem Architekten auf ein Anwesen in der Walpodenstraße 6 aufmerksam gemacht werden. Die Stadt unterstützt den Ausbau des Gewölbes zum Theater großzügig, jetzt verfügt man über eine Bühne mit rund 150 Plätzen, Garderobe, Toiletten, Kasse, Technik und Bar – und natürlich einen Notausgang.

Hanns-Dieter Hüsch hebt das neue Unterhaus am 5. September 1972 aus der Taufe. Wenig später beschließt der Mainzer Stadtrat, die Kleinkunstbühne zu subventionieren. Noch arbeiten die Gründer in ihren „bürgerlichen Berufen“: Renate Fritz-Schillo als Schauspielerin und Regisseurin, Artur Bergk als Tontechniker des ZDF und Ce-Eff Krüger beim gleichen Sender als Redakteur. Doch die Arbeit lässt sich nicht mehr „nebenbei“ erledigen: Bergk gibt seinen Job auf und übernimmt als erster hauptamtlicher Mitarbeiter die Bereiche Geschäftsführung, Künstlerbetreuung Werbung und Abrechnung – immer wieder sieht man ihn auf seinem heute als Andenken an diese Zeit im Unterhaus-Entrée hängenden Lieferfahrrad Plakate aufhängen; abends verantwortet er die Technik und den Barbetrieb.

1972 verleiht das Unterhaus erstmals den Deutschen Kleinkunstpreis, bis heute die wichtigste Auszeichnung in der Kabarettszene. Erster Preisträger ist Hanns-Dieter Hüsch; seit 1976 bekommen den Preis Künstler der Sparten Kabarett und Kleinkunst sowie Chanson, Musik und Lied. Seit 1977 steuert die Stadt Mainz den Förderpreis zum Deutschen Kleinkunstpreis bei.

Hatte man den Unterhäuslern damals versichert, man könne im Keller der Walpodenstraße 6 „Kanonen abfeuern“, ohne dass die Nachbarn das hören würden, erweist sich dieses Versprechen als fadenscheinig: Be- und Anwohner des Hauses protestieren massiv gegen die vom Kabarettkeller ausgehende Lärmbelästigung, was eine erneute Standortsuche nötig macht. Die dauert indes nicht lange: Der neue Besitzer des Nachbarhauses entdeckt in seinem Gebäude einen bis dahin zugemauerten Weinkeller, der sich als weitere Bühne anbietet. Nun kann das „große“ Unterhaus mit dem „kleinen“, dem Unterhaus im Unterhaus, durch eine Tür verbunden werden; der Eingang liegt in der Münsterstraße, die Stadt Mainz räumt das Wegerecht auf dem begrünten Platz davor ein.

Am 10. September 1978 ist es wieder Hanns-Dieter Hüsch, der das Unterhaus eröffnet: Täglich werden beide Bühnen mit verschiedenen Programmen bespielt. Mittlerweile ist Platz für rund 500 Gäste und große wie kleine Künstler mit entsprechendem Publikum. Schnell avanciert das Unterhaus im Unterhaus zur Nachwuchsbühne, manche mittlerweile namhaften Künstler bleiben ihr bis heute treu. Es finden Jazzkonzerte statt, Matineen, Lesungen und Talkshows sowie die Förderung vielversprechender Talente und das Kinder- und Jugendtheater folgen rasch.

1980

Geld ist nicht alles, aber ohne Geld ist alles nichts – das gilt auch für den Kulturbetrieb. 1982 schwebt der Pleitegeier auch über dem Unterhaus: Stadt und Land kürzen ihre Subventionen, das Unterhaus ist bankrott. Doch Rettung naht: Freunde und Gäste erweisen sich als Helfer in der Not: Künstler wie Herbert Bonewitz und Kollegen bestreiten einen großen Benefiz Auftritt in der Rheingoldhalle, der Förderverein wird gegründet. Es geht weiter.

Bis die Stadt Mainz die Umgestaltung der Münsterstraße beschließt: Bagger und Kräne rücken an und der idyllische Theatervorplatz, auf dem der legendäre Unterhaus-Zirkuswagen für den Vorverkauf steht, verwandelt sich 1989 in eine Großbaustelle. Der Weg ins Theater führt nun erst mal über einen langen Holzsteg. Und das für einige Jahre. Doch das Unterhaus bleibt an Ort und Stelle – schließlich hat die Stadt Mainz ja das Wegerecht garantiert…

1990

Am 30. Oktober 1994 kann nach langer Bauzeit endlich das neue Entrée eingeweiht werden – dank der tatkräftigen Unterstützung durch die Stadt Mainz und das Land Rheinland-Pfalz, der Mainzer Aufbaugesellschaft (MAG) sowie vieler ehrenamtlicher Helfer. Das Unterhaus-Entrée bietet nicht nur Platz für den Vorverkauf und ein Bistro, sondern entwickelt sich als Kunst- und Künstler Galerie rasch zum Treffpunkt für Kabarett Freunde und Kleinkunst Fans. Außerdem kann man es bei Bedarf auch als dritte Bühne für Lesungen, Matineen, Soireen und Late-Night-Shows nutzen.

2000

Was 1966 mit den „Poli(t)zisten“ begann, wird 2001 anlässlich des 35-jährigen Bestehens gefeiert: 35 Künstler spielen an 35 aufeinanderfolgenden Abenden vor einem begeisterten Publikum.

2003 verstirbt die „Seele des Unterhauses“, wie es in einem Nachruf von Dr. Gerd Klee im Wiesbadener Kurier heißt: „An der Bar ist ein Platz leer; es fehlt ein Ohr, das zuhört, ein Arm, der in den Arm nimmt. Und der Humor der Renate Fritz-Schillo, der jede noch so verfahrene Situation mit einer überraschenden Volte zur Verblüffung aller überwinden konnte. Es fehlen ihr Ernst und ihr Lachen.“

Nach langen Jahren des rastlosen Schaffens für das Unterhaus beschließen die verbliebenen Betreiber Artur Bergk und Ce-Eff Krüger, das Ruder aus der Hand zu geben: 2004 wird Ewald Dietrich Geschäftsführer; der frühere IBM-Mitarbeiter erhält den Auftrag das erneut hoch verschuldete Theater zu retten und zu konsolidieren. Das gelingt 2007 durch einen Trägerverein städtischer Honoratioren, der das Unterhaus zum symbolischen Preis von einem Euro erwirbt: Die Unterhaus-Stiftung betreibt die Bühnen als Gemeinnützige GmbH weiter, stellvertretender Vorsitzender ist jeweils der amtierende Geschäftsführer des Unterhauses.

2008 stiftet das Land Rheinland-Pfalz den Ehrenpreis zum Deutschen Kleinkunstpreis als Auszeichnung des Lebenswerks der damit bedachten Künstler.

2010

Der Wunsch nach einer Klimaanlage ist leider nicht realisierbar, doch 2014 wird immerhin die Belüftungsanlage des Unterhauses erneuert, so dass nun dreimal so viel Sauerstoff in den von Kleinkünstlern augenzwinkernd „Teilchenbeschleuniger“ genannten Keller geblasen wird. Ansonsten bleibt das Ambiente sympathisch archaisch: WLAN und Handynetz gibt es nur im Entrée – auf den Bühnen hat der Künstler das letzte Wort!

Am 30. Januar 2016 feiert das Unterhaus sein 50-jähriges Bestehen mit einer großen Gala. Mit dabei sind bei der Feier im Frankfurter Hof unter anderem Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig, Jochen Malmsheimer, Urban Priol, Arnulf Rating und Georg Schramm.

50 Jahre unterhaus

Anlässlich des Jubiläums wird der Mietvertrag des Unterhauses um 25 Jahre bis ins Jahr 2041 verlängert.

Heute

Ende 2018 gibt Ewald Dietrich,  der das Haus mit Engagement und wirtschaftlichem Sachverstand sicher durch die letzten 15 Jahre gelotst hat, altersbedingt seinen Posten als Unterhaus-Geschäftsführer auf. Nachfolger wird Stephan Denzer – langjähriger Leiter der Abteilung Kabarett und Comedy beim ZDF und Erfinder von Erfolgssendungen wie die „heute-show“. Ambitioniert macht sich der Medienprofi an eine Verjüngung der Traditionsbühne durch innovative Formate, digitale Kanäle, die Gestaltung einer neuen Homepage sowie die Gründung des jungen, unterhaus eigenen Ensembles „Nobodys Company“ . Der Elan währt allerdings nur kurz. Ausgebremst durch die Corona-Pandemie reicht Denzer bereits nach zwei Jahren im August 2021 die Kündigung ein und wechselt zu einer Kölner TV-Produktionsfirma. Seit Oktober 2021 wird die Kleinkunstbühne mit Programmplanerin Britta Zimmermann und Gianluca Caso von zwei professionellen unterhaus-Eigengewächsen mit neuem Schwung als Doppelspitze geleitet. Insbesondere das von Schauspieler Alexander Schubert („heute-show“) gecoachte unterhaus-Ensemble begeistert die Kritiker und bringt frischen Wind in die Kabarettszene.