Der Deutsche Kleinkunstpreis

Jeden Abend läutet eine Glocke die Vorstellungen im Mainzer unterhaus ein, signalisiert: Aufgepasst, hier ist’s nicht angepaßt. Einst tönte sie auf Hanns Dieter Hüschs „arche nova“, ein Geschenk der Stadt Mainz, auch Subvention tituliert. Viel Lärm für Nichts – Hauptsache es klingelte, wenn schon die Münzen ausbleiben … Die „arche“ hielt zwar strikt ihren Kabarett-Kurs, kam aber doch ins Schlingern, kenterte schließlich. Hausherr Hüsch rettete sich und die Glocke und hängte sie 1971 ins unterhaus, dem neuen „Zuhaus“ in der Walpodenstraße.

Und während mal wieder alle Welt das Kabarett tot sagte, die Kleinkunst, die Kunst der kleinen Form, als antiquiert abhakte, arbeiteten die „unterhäusler“ emsig weiter im Untergrund und förderten mit ihrem Kleinkunstkeller, mittlerweile bereits namhaftes Kleinkunstforum, dieses Genre.Die Kleinkunst ist preiswürdig! Ein Preis muß her! Sozusagen eine Anerkennung für die Kleinkünstler, ein ideeller Preis, weil das unterhaus ja ein Non-Profit-Unternehmen ist. Und was es nicht gibt, muß man einfach erfinden: Die Geburtsstunde des Deutschen Kleinkunstpreises. Was lag näher, als Symbol die unterhaus-Glocke zu nehmen – eine Nachbildung, versteht sich!

Sehr zum Ärger anderer „Macher“, denn während in München Samy noch an einer Idee Drechsel(te), hatten die „unterhäusler“ schon Rundschreiben an ca. 150 Fachleute und Freunde verschickt mit der Aufforderung, den ersten Preisträger 1972 zu wählen. Das Ergebnis: Hanns Dieter Hüsch, der Mentor des politischen und literarischen Kabaretts. Eine gute Wahl! Bei der Glockenübergabe im Februar ’73 feierte er zugleich sein 25-jähriges Bühnenjubiläum.

Nach Franz Hohler (Kabarett) und Guy Walter (Kabarett- und Kleinkunst-Förderer) 1973, ermittelte im Jahr darauf eine vom unterhaus geladene Jury die Gewinner des Deutschen Kleinkunstpreises:

In der Walpodenstraße 1 konferieren seit Stunden Regisseure, Redakteure von Presse, Rundfunk und Fernsehen, Kritiker und Autoren, kurz die Crème de la Crème der Kulturschaffenden. Jeder Juror möchte natürlich seine Favoriten, die von ihm nominierten Künstler, „durchbringen“. Alle Vorschläge werden hitzig und engagiert diskutiert. Zum ersten Mal wird der Preis für 1974 in drei Sparten verliehen, Chanson, Kabarett, Kleinkunst, und ist mit jeweils 5.000 DM dotiert – das ZDF durch seine TV-Aufzeichnung von der Preisverleihung macht es möglich. Die Spannung steigt! Welche Künstler können die meisten Stimmen auf sich vereinigen? Jetzt gilt’s. Die Experten stimmen ab! – Geschafft! Die „Ausgezeichneten“ sind …

… Helmut Ruge (Kabarett), Hannes Wader (Chanson) sowie Günther Lüders (Kleinkunst), der die Preisverleihung leider nicht mehr erleben durfte.

Die unterhaus-Glocke avancierte schnell zum „Oscar“ en miniature, der Klein-Kunst eben. Die Stadt Mainz – wie sie singt und lacht – freute sich sehr über ihr neues Image und spendierte 1976 zum Anlaß ihres 500-jährigen Universitätjubiläums einen vierten 5.000-DM-Preis, den Sonderpreis der Stadt Mainz, den Gert Fröbe aus den Händen des Oberbürgermeisters Jockel Fuchs in Empfang nehmen konnte, der den „Vorgang“ vielleicht so schön fand, daß fortan die Stadt jedes Jahr einen Kleinkünstler unterstützen wollte – mit dem Förderpreis der Stadt Mainz.

In der heute langen Liste der Preisträger liest man wie im „Who is Who“, für die Wahl kommen auch nicht mehr nur Künstler infrage, die im unterhaus aufgetreten sind, das „Preisgeld“ erhöhte sich auf DM 10.000,-. Die Jurymitglieder wurden „international“, die zu Ehrenden auch. Und bei der alljährlichen Preisverleihung zeigt sich, wer Rang und Namen hat oder denkt zu haben oder haben möchte. Die Vorjahressieger moderierten, bis Hanns Dieter Hüsch diese Aufgabe fest übernahm.

Dank der Übertragung im ZDF gelangten so Künstler ins Fernsehen, die es sonst in den Medien oft schwer hatten. 1981 gab es dann allerdings einen Eklat: Gerhard Polt, bayerischer Grantler, zog aus einer Verwarnung und Androhung einer Konventionalstrafe, wenn er nicht Passagen aus seinem Programm nehmen würde, die Konsequenzen. Lapidar kündigte der Kabarett-Preisträger eine „Rede zur Satire-Freiheit im Fernsehen“ an, betrat die unterhaus-Bretter mit einer Eieruhr, der berühmten 5-Minuten-Sanduhr, stellte dieselbe demonstrativ auf den Tisch und sagte – 

NICHTS:

Weniger war auch hier mehr, zu viel, der (Sende)Platz für Satire seitdem nicht mehr vorhanden. Zwei Jahre später fand Hajo Schedlich einen Weg, die Verleihung des DEUTSCHEN KLEINKUNSTPREISES in seiner Reihe „Matinee“ zu übernehmen, bis sie dann endlich ihren festen Platz bei 3sat fand, der für die Kleinkunst in Deutschland, Österreich und der Schweiz ganz neue Zuschauerschichten erschloss.